Die Eudaimonie-Lehre des Aristoteles ist das Thema dieses Aufsatzes. Vor der eigentlichen Behandlung des Themas wird kurz Bezug genommen auf die Kritik Kants und des Marxismus an der altgriechischen Ethik. Von Kant wird ihr nämlich vorgeworfen, dass sie eudaimonistisch bzw. hetero-nom sei, und seitens des Marxismus, dass sie unter anderem eudaimonistisch und individualistisch sei und ausserdem dass sie keine Rücksicht auf die sozialpolitischen Umstände nehme. Zu allen diesen Vorwürfen wird hier kritisch Stellung genommen, wobei sie als unberechtigt erwiesen werden. Auch die zeitgenössische Kritik an der aristotelischen Ethik, dass ihre Eudaimonie einen materiell-empirischen Charakter auf der einen Seite und einen metaphysischen auf der anderen Seite aufweist, wird in diesem Aufsatz besprochen bzw. widerlegt. Bei dieser Gelegenheit werden die Hauptmerkmale der aristotelischen Ethik und insbesondere ihrer Eudaimonie-Lehre herausgearbeitet. Dies fürht zum eigentlichen Thema dieser Studie. Zunächst wird der ontologische Charakter des aristotelischen Begriffs des Guten überhaupt hervorgehoben, mit welchem der anthropologische Charakter der aristotelischen Eudaimonie eng zusammenhängt, weil Aristoteles seine Eudaimonie als «ein Tätigsein der Seele im Sinne der ihr wesenhaften Tüchtigkeit» auffasst. Und falls es mehrere Formen wesenhafter Tüchtigkeit gibt-fährt Aristoteles fort —, dann besteht die Eudaimonie in der Tätigkeit der vorzüglichsten und vollendetsten Form einer solchen Tüchtigkeit. Die Eudaimonie ist nach Aristoteles ein «πρακτόν αγαθόν», d.h. nicht ein Gut, das als getrennt und an und für sich existiert, sodern eines, welches durch menschliches Handeln verwirklicht werden kann. Diese Auffassung des Guten gilt Aristoteles zugleich als eine Kritik an der platonischen Ideenlehre; eine Kritik allerdings, die wohl Piaton nicht gerecht wird. Denn alles, auch für Piaton, dient irgendwie letzten Endes der Eudaimonie des Menschen, die als eigenes Gut des Menschen um ihrer selbst willen angestrebt wird. Gerade als ein solches Gut bzw. Ziel des Menschen wird die Eudaimonie auch von Aristoteles verstanden und dargestellt, d.h. als jenes vollkommenste und höchste Gut, dem alles andere als Mittel untergeordnet ist. Im übrigen ist das platonische Moment einer Verherrlichung des Guten auch bei Aristoteles zu finden, wenn er in seiner Nikomachischen Ethik auf eine «Vergöttlichung» des Menschen als sein höchstes Ideal hinweist. Die Annahme eines höchsten Guten, auf welches als letztes Telos alles menschliche Handeln und Tätigsein überhaupt sich zurückführen lässt, ist für die aristotelische Dialektik eine unbedingte Notwendigkeit. Die aristotelische Eudaimonie zeichnet sich durch die Autarkie als ihre wesentliche Eigenschaft aus. Eudaimonie ohne Autarkie ist nach Aristoteles unmöglich oder sogar undenkbar. Es handelt sich allerdinges um eine relative Autarkie, weil ja der Mensch selbst von seiner Natur aus kein Absolutes Wesen, sondern ein nur beschränktes und relatives aus Körper und Seele Zusammengesetztes ist, welches eben vielen Bedürfnissen unterliegt. Der aristotelische Weise macht hier keine Ausnahme. Seine höhere Autarkie beschränkt sich allein auf seine theoretische Tätigkeit als solche. In der Praxis ist seine Autarkie genauso beshränkt und relativ wie die aller anderen Menschen. Die aristotelische Eudaimonie setzt also, mehr oder weniger, alle sogenannten äusseren Güter voraus. Das bedentet allerdings, dass diese Eudaimonie automatisch einen politischen bzw. gesellschaftlichen Charakter aufweist, weil das Leben auch des glücklichen Menschen doch auf die Ordnung, die Sicherheit, die Freiheit, den Frieden, die Gerechtigkeit und auf alle Güter und Werte eines wohl geordneten Staates angewiesen ist. Im übrigen ist die Entstehung der Tugend überhaupt, die in allen Fällen die Quintessenz der Eudaimonie ausmacht ausserhalb der Institutionen der Polis nicht möglich. Was das Verhältnis zwischen Eudaimonie und äusseren Gütern betrifft wird manches ungerechterweise Aristoteles vorgeworfen. Dies alles wird widerlegt. Weiter werden die Unterscheidung der aristotelischen Eudaimonie in eine praktische und eine theoretische wie das enge Verhältnis zwischen Ethik und Politik behandelt. Der ethische Charakter der Politik und der politische Charakter der Ethik sind die Grundmomente der praktischen Philosophie des Aristoteles. Als letztes wird das enge Verhältnis zwischen Eudaimonie und Lust behandelt. Die Lust —nicht jede Lust— wird von Aristoteles als unerlässlicher Bestandteil der Eudaimonie betrachtet, welcher als natürliche Folge und immanente Vollkommenheit derselben zu verstehen ist. Die aristotelische Eudaimonie ist ανεμπόδιστος ενέργεια und —als solche— will der Wirklichkeit des Menschen gerecht werden, sie weist einen klaren gesellschaftlichen Bezug auf. Vor allem zeigt sich in ihr die innere dialektische Einheit, die zwischen dem Menschen (Ethik) und der Polis (Politik) herrscht.